Jetzt is Lance weder weg. Ein hin und Her ist das hier! Da! Weg! Da! Weg! Da… und so weiter. Alles beliebig und ohne roten Faden. Absurd -ein Leben aus der Tonne. Aber es ist alles wahr!!! Es ist alles genau so passiert, wie ich es hier beschreibe. Ich bin ein der Wahrheit verpflichteter Chronist sogenannter Realität. Wer die klassische Struktur eines Dramas erwartet, der soll ins Kino gehen. DAS ist das nackte Leben. DAS passiert alles offline! DAS ist chaotisch und sinnfrei. Alles andere ist doch nur konstruiert.
„Ich kenne die Insel wie meine Westentasche. Wir finden deine Leute!“ sagt Jürgen und schaltet einen Gang höher. Sein für sein Alter noch sehr volles Haar weht im salzigen Meereswind. Manchmal schlägt das Leben solche Kapriolen, dass ich es kaum wahrhaben will. Ich und Jürgen Drews im Cabrio-so wie Vater und Sohn, Batman und Robin oder Johnny Cash und Joe Strummer…
Nachdem ich am Flughafen wieder zu Bewußtsein kam, war der Transporter inklusive Lance, seinen Eltern und den offensichtlich mafiösen Filmleuten weg. Dafür stand an der Stelle ein schnittiger offener Sportwagen aus dem ein Mann stieg, um mir aufzuhelfen. Es war wirklich kein Geringerer als Jürgen Drews, der mir Wasser gab und dem ich, noch völlig neben der Spur, den Hergang erklärte. Und Jürgen beschloss mir zu helfen. Einige Minuten später saß ich neben ihm und wir schossen in Höchstgeschwindigkeit über die Insel.
„Weißt du, ich fand die Achtziger schon unmöglich mit dem ganzen Atomkraft- und Bombenwahnsin, dem kalten Krieg. Aber heute ist alles noch viel schlimmer!“ sinniert Jürgen, als wir fast auf einen Berggipfel sind von dem wir das türkise Meer funkeln sehen können.
„Ja, früher war alles besser“ bemerke ich lakonisch und betaste meine Beule.
„Nein, wo die Medienbranche früher ein Zylinder tragender Vielfrass war, ist sie heute ein neunköpfiges nimmersattes Monster, dass alles schluckt und ausgebrannt in den Asphalt spuckt, während ihr kulturindustrieller Schmerbauch daran wächst und wächst und den Überschuß als übelriechende Winde in den Äther bläht. Als ganzer Mensch kommst du nach so vielen Jahren nicht mehr raus. Diese Blutsauger…“
Jürgen hat sich in Rage geredet, dass die Halsader schwillt und krallt sich ans Lenkrad. Seine Erregung überträgt sich auf sein Cabrio, dass nun wütend knurrt.
Er redet wie so ein 68er und irgendwie sieht er ja auch so aus. Auf einmal wird mir klar, dass man auch in der Hülle des Schlagerstars den Marsch durch die Insitutionen bewältigen kann, um dieses System von innen zu ändern. Ich habe Drews nun verstanden. Als wir den Berg auf seiner vollen Höhe erreicht haben, sage ich zum Trost, weil mir nichts beseres einfällt:
„Aber du bist doch immer noch der König von Mallorca!“
Jürgen sagt erstmal nichts und ich befürchte, dass ich vielleicht etwas falsches gesagt haben könnte. Sicher möchte er nicht immer nur auf die Königsnummer reduziert werden. Doch dann antwortet er mit fester Stimme:
„Ja, ich bin der König und deswegen werde ich nicht zulassen, dass diese Leute mit ihren wahnwitzigen Unterhaltungsideen hier weiter meine Insel terrorisieren.“
Er stellt den Motor ab, stößt einen gellenden Schrei aus und dann wir rollen mit Hochgeschwindigkeit den Berg hinunter in die Ortschaft, die wie ein Juwel im Tal ruht.
In der Ortschaft halten wir an einem Laden, der trotz Siesta offen hat. Vor der Tür räkelt sich ein alter Hund, der aber keine Notiz von uns nimmt. Jürgen hupt ein paar mal, bis ein alter sonnengebräunter Spanier im Feinriphemd durch die Tür tritt, fast über den Hund stolpert, den er mit einem Tritt davonjagt. Jürgen springt ohne die Tür zu öffnen aus dem Wagen und geht auf den Mann zu und begrüßt ihn gebührend. Die beiden wechseln ein paar Worte. Jürgen spricht nicht nur perfekt spanisch, sondern er beherrscht auch noch die wichtigsten Gesten, die er meisterhaft in seine Sätze einwebt. Der Alte zuckt zunächst nur unwissend mit den Schultern, doch dann hält er inne, reibt sich das Kinn und zeigt nach Süden.